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Dieter Baumann hört auf: Die Energie war weg

Artikel © Robert Hartmann

Tübingen.- Ich höre auf! Dieter Baumann fiel mit der Tür ins

Haus. Schon im ersten Satz war die Überraschung perfekt. Er war gerade von

einem einwöchigen Urlaub in Viareggio in Norditalien heimgekehrt, und in

Wahrheit hatte der 5000-m-Olympiasieger von Barceonla 1992 sich noch einmal auf

die Suche nach der alten Lust begeben, der Laufkunst, wie er gern sagt. Ohne

sie ist sein Beruf nur ein Job, ist er nicht von Belang. Der Schwabe war immer

ein Schwärmer. Ohne das Laufen, das lockere und das ambitionierte, konnte

er sich sein Leben nicht vorstellen. Das Wort von der Berufung war nicht zu

groß.

Er erzählte, dass er in Viareggio den Umfang an laufend zurück

gelegten Kilometer schließlich hoch geschraubt habe. Das verdichtete sich

schließlich zum ultimativen Test, mit offenbar eindeutigem Resultat. Ich

muss sagen, rief er sich am Montagvormittag seine Gefühle noch einmal

zurück, die Energie war weg.

Das Wettkampf-Restprogramm: gestrichen. Über die Verträge, sagt

er, habe er mit seinen Partnern schon gesprochen. Sie werden aufgelöst.

Für ihn wird es keinen Marathon mehr am 2. November in New York geben, auf

den er sich seit Monaten intensiv vorbereitete. Dafür war der Veranstalter

Allan Steinfeld im Mai extra zu den deutschen 10 000-m-Meisterschaften in

München eingeflogen. In einer kleinen Pressekonferenz erhielt Baumann

damals schon seine Startnummer überreicht. Schließlich werden die

Olympischen Spiele in Athen 2004 als Ziel gestrichen. Er war ja nicht nur

Olympiasieger. Mit 23 verblüffte er in Seoul 1988 schon mit der

Silbermedaille über 5000 m, und trotz einer schwierigen Vorbereitung

erzielte er in Atlanta den vierten Platz. Darauf ist er besonders stolz. Wenn

er jetzt sagte: Dieses Athen ist unbedeutend geworden, das kann sich ein

ehrgeiziger Junger vielleicht nicht vorstellen. Dann brannte er nicht mehr.

Mit seiner Aufgabe während der 10000 m bei den Weltmeisterschaften in

Paris am 24. August hatten die Zweifel am Sinn seines Tuns begonnen.

Vorgenommen hatte er sich einen Platz zwischen sechs und acht. Einmal kann man

sich so etwas wie in Paris erlauben stellt er jetzt nüchtern fest. Eine

zweite Aufgabe würde seinen guten Ruf anhaltend beschädigen. Immerhin

ist er 38, und seiner Frau Isabelle, mit der er seit elf Jahren verheiratet

ist, sie ist auch seine Trainerin, unkte neulich spöttisch über sein

fortgeschrittenes Alter: Jetzt sind sogar die Diskuswerfer jünger als du.

Aber da lief er noch weiter und konnte nicht anders: Er hatte noch einen

unfassbaren Überschuss an Spaß, Lust und Laune. Jedoch, wenn er tief

in sich hinein horchte, galt dies nur noch für die Trainingsläufe.

Nicht mehr für die Wettkämpfe. Ich vermisste in mir schon länger

die Aggressivität.

Baumann ist ein Bauchmensch. Er war einer, der beim Saisonhöhepunkt

über sich hinaus wuchs. Der altbewährte Rhythmus scheint ihm abhanden

gekommen zu sein. Beim 7,6 km langen Stadtlauf von Tübingen, wo der

Schwabe seit einigen Jahren mit seiner Frau und zwei Kindern wohnt, wird er am

Sonntagnachmittag sein Ade sagen. Es überrascht nicht, dass der gern auch

weiße Kenianer genannte Schwabe zwei Weggefährten aus Afrika

anführt, wenn er von seinen geschätzten letzten Gegnern spricht. Von

Laban Chege aus Kenia und Tendai Chumusasa aus Simbabwe. Der gelernte

Fotolaborant ist in ihrem so andersartigen Kulturkreis bei zahlreichen Reisen

heimisch geworden. Das ist nicht der geringste Gewinn, den er seiner Laufzeit

verdankt.

Der Schwabe hält die deutschen Rekorde von 3000 m (7:30,50 Minuten),

5000 m (12:54,70) und 10000 m (27:21,53). Während er bei den

Weltmeisterschaften Vierter, Neunter und Fünfter wurde, gewann er bei den

Europameisterschaften über 5000 m in Helsinki 1994. Aus der heutigen Sicht

sorgte er für einen krönenden Abschluss mit dem Silber über

10000 m in München 2000. Vierzigmal wurde er als Deutscher Meister

ausgerufen. Wahrscheinlich, sagte er einmal. Er zählte nicht mehr mit.

Seine schwärzesten Stunden erlebte Baumann nach seinem dubiosen

Dopingfall. Im Oktober und November 1999 wurden in einer Zahnpastatube Spuren

des Anabolikums Nandrolon gefunden. Sie waren zu gering, um überhaupt

seine Muskeln zu erreichen, doch deutlich genug, um ihn im Labor zu

überführen. Danach entspann sich eine Art von Glaubenskrieg zwischen

Baumann-Anhängern und Gegnern, der sich bis in die Sport- und ordentliche

Gerichtsbarkeit fortsetzte. Während die Sportrichter seines Verbandes ihn

freisprachen, bestraften ihn deren Kollegen mit einer Zweijahressperre. Das

endgültige Urteil erging an ihn in Sydney, im Olympiaort 2000, am Tag vor

der Eröffnungsfeier. Der Athlet war am Boden zerstört, und er hatte

auch später keinen Erfolg bei seiner Anrufung deutscher Berufsrichter, in

Landes- und Oberlandesgerichten. Sie hielten seine Behandlung im Bereich des

Weltdachverbandes IAAF für einigermaßen ausreichend.

Schließlich gab er auf, und inzwischen durfte er auch wieder

Wettkämpfe bestreiten.

Baumann kehrte im Winter 2002 zurück, als sei er nie weg gewesen. Damit

lieferte er das stärkste Argument für seine Unschuld nach. Doch wer

ihn reinlegte, was er immer wieder behauptet, ist nie heraus gekommen. Im

nächsten Jahr wird ein Spielfilm zu seinem Fall entstehen, der im

kommenden Sommer vor Athen in der ARD ausgestrahlt werden soll. Er ist ein

charismatischer Typ, ein Vorläufer der Nation, er hat immer ein

großes Medieninteresse geweckt.

Beruflich habe ich es im Moment nicht eilig, sagt er. Zur Zeit schreibt er

an einem Laufbuch, sein Sportartikel-Sponsor wird ihm im Freizeitbereich

einspannen, in der Fachzeitschrift Runners World schreibt er

regelmäßig Kolumnen, er leitet Lauf-Seminare. Ich würde gern

irgendwann einen anderen Hauptberuf haben, irgendwo im Sport, sagt er. Mit dem

weltgewandten Schwaben geht eine Ära auf den roten Bahnen zu Ende. Ein

deutscher Nachfolger ist nicht in Sicht, und so einer wie er schon gar

nicht.