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Herms triumphiert erneut gegen Olympiasieger Schumann

Die vielleicht spannendste Entscheidung der zweitägigen Deutschen

Hallen-Meisterschaften der Leichtathleten in Leipzig war das 800-m-Finale der

Männer am Schlusstag. Schon nach den Vorläufen war klar, dass es hier

ein großes Duell zwischen dem Olympiasieger Nils Schumann (Erfurt) und

seinem jungen Herausforderer René Herms (Pirna) geben würde.

Überraschend kümmerte sich René Herms vor ausverkauften

Rängen mit gut 4000 Zuschauern selbst von Beginn an um das Tempo. Und das

war flott. Nach 52,04 Sekunden waren 400 Meter gelaufen. Und auch noch an der

600-m-Marke führte René Herms mit Nils Schumann im Windschatten.

Dann machte Herms auf der Innenseite Platz, und Schumann nutzte die

Gelegenheit, um innen an seinem Konkurrenten vorbeizugehen. „Es war nicht

gewollt, ihn in der letzten Runde vorbei zu lassen“, erklärte

René Herms später. Doch nach dem Rennen durfte man eher vermuten,

dass dies eine ganz ausgebuffte Taktik von René Herms gewesen ist.

Denn trotz der Tempojagd über drei Runden hatte René Herms noch

genügend Kraft, um sich an Nils Schumann ranzuhängen. In der letzten

Runde herrschten also zunächst umgekehrte Verhältnisse. Doch nun war

Herms plötzlich in der günstigen Position. Und ausgangs der letzten

Kurve griff er Nils Schumann noch einmal an und fing den Olympiasieger noch ab.

In 1:46,78 Minuten wurde René Herms Deutscher Meister, Nils Schumann

blieb nur Rang zwei in 1:46,90. Zum zweiten Mal in dieser Hallensaison hatte

Nils Schumann gegen René Herms verloren.

„Ich wusste unterwegs, wie viel Kraft ich noch habe. Am Ende retteten

wir uns beide ins Ziel – dabei hatte ich auch etwas Glück“,

erklärte René Herms, der jedoch nicht zur Hallen-WM nach Birmingham

in zweieinhalb Wochen fahren wird. „Ich mache das Abitur, das ist mir

zurzeit wichtiger“, sagte Herms, der nach dem Rennen auch noch

hinzufügte: „Nils Schumann bleibt als Olympiasieger mit 22 Jahren

mein Vorbild.“

Dem Olympiasieger fehlt zurzeit das, was ihn berühmt gemacht hat: sein

enormer Endspurt. „Es ist ein gutes Rennen gewesen, das ich hätte

gewinnen müssen. Aber leider hat am Ende ein Stück gefehlt. In der

letzten Kurve hatte ich einen Kolbenfresser und konnte mich gerade noch so ins

Ziel retten“, erklärte Nils Schumann, der René Herms zu einem

mutigen Rennen gratulierte. Auch Nils Schumann wird nicht bei der Hallen-WM an

den Start gehen. Der Sommer mit der WM in Paris hat für ihn

Priorität. „Und ich denke eigentlich noch langfristiger, an die

Olympischen Spiele 2004 in Athen.“

Mit einem überraschenden Vorstoß hat sich Wolfram Müller

(LAV Tübingen) in 3:40,46 Minuten den Titel über 1500 m gesichert.

Verduzt war nicht nur sein schärfster Konkurrent Franek Haschke (LG Asics

Pirna/3:43,10) sondern auch das Publikum, das dank Müller ein

interessantes 1500-m-Finale erlebte.

Auf dem ersten Drittel der Strecke sah alles nach einem typischen

Meisterschaftsrennen aus. Der Berliner Jonas Stifel (LG Nord) hatte sich an die

Spitze des Feldes gesetzt, gefolgt von Franek Haschke. Doch dann, nach 500

Metern, stürmte Wolfram Müller aus dem Hintergrund derart energisch

nach vorne, dass Franek Haschke gar keine Zeit mehr blieb, so schnell zu

reagieren. „Ich hatte mir vor dem Rennen keine Taktik zurecht gelegt.

Wolfram hat mich mit seinem Angriff total überrascht“, erklärte

Franek Haschke später.

Binnen Sekunden hatte Wolfram Müller einen Vorsprung von rund 15 Metern

herausgelaufen, der sich sogar noch etwas vergrößerte. „Ich

hatte mir diese Taktik vorher als Option zurechtgelegt. Ich wollte irgendwann

im Rennen, spätestens nach 1000 Metern einen Vorstoß machen“,

erklärte Wolfram Müller, der in der vergangenen Saison aufgrund einer

Hepatitiserkrankung ausgefallen war. Da das Rennen dann sehr langsam

losgegangen war, startete Wolfram Müller bereits nach 500 Metern.

„1000 Meter alleine zu laufen, das war natürlich brutal“,

sagte der erst 21-jährige Müller. Franek Haschke schien sich

verspekuliert zu haben. Er ging offenbar davon aus, dass Wolfram Müller

das Tempo alleine nicht halten könnte und ihm am Ende entgegen kommen

würde. Doch es waren nicht viel mehr als ein paar Meter, die Franek

Haschke in den letzten Runden noch aufholen konnte. Noch 400 Meter vor Schluss

betrug der Abstand zu Müller für Haschke fast 20 Meter, als es auf

die letzten 200 Meter ging, waren es immer noch 15. „Ich bin trotzdem

zufrieden. Denn nach meiner Krankheit bin ich froh, überhaupt wieder so

laufen zu können“, erklärte Franek Haschke, der sich im Vorfeld

der Saison einer Nierenoperation hatte unterziehen müssen. Zuvor hatte

Haschke ebenfalls Pech gehabt, als er im Sommer unter der Flut in Pirna zu

leiden hatte.

Für Wolfram Müller, der noch in der letzten Saison zu Franek

Haschkes Trainingsgruppe in Pirna gehört hatte, war es ein wichtiger

Fingerzeig in Richtung Sommersaison. „Dass sich der Wechsel zu Dieter und

Isabelle Baumann nach Tübingen gelohnt hat, sah man schon heute“,

sagte Wolfram Müller, der zurzeit direkt bei Baumanns im Haus

untergebracht ist. Das wird auch noch bis zum Sommer so bleiben.

„Eine Qualifikation für die Hallen-Weltmeisterschaften war nie

ein Thema für mich“, sagte Wolfram Müller, der sich voll auf

die Sommersaison konzentriert. Auch dann soll wieder die 1500-m-Strecke im

Mittelpunkt stehen. „Über diese Distanz möchte ich mich

für die Weltmeisterschaften in Paris qualifizieren. Die Norm ist mit

3:34,90 Minuten recht anspruchsvoll – deswegen gilt es für mich

zuerst einmal, überhaupt in Paris dabei zu sein, bevor ich mir Gedanken

über weitere Ziele mache.“ Die 5000-m-Strecke spielt bezüglich

der Weltmeisterschaft in Paris keine Rolle für Wolfram Müller.

„Ich werde sie sicherlich im Laufe der Saison laufen, aber nur

nebenbei.“

Von Jörg Wenig