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Laufen Frauen anders?

Laufen hat kein Geschlecht, jeder Mensch kann laufen. Warum ist dann

"Frauen und Laufen" überhaupt

ein Thema, über das man nachdenken sollte? Laufen Frauen denn anders als

Männer?

Ein Blick in die Geschichte zeigt, daß es in vielen Epochen und

Kulturen hervorragende Läuferinnen

gegeben hat. Trotzdem können Frauen erst seit 1984 im Marathonlauf

olympische Lorbeeren erringen.

Seitdem setzte sich aber mehr und mehr die Ansicht durch, daß sich Frauen

an Ausdauerdisziplinen

beteiligen können, ohne gesundheitliche Schäden befürchten zu

müssen.

Zahlen und Fakten

Nachdem heute den Mädchen und Frauen die Welt des Laufens oder besser die

Welt zum Laufen offen steht,

stellt sich die Frage, wollen Mädchen und Frauen auch diese Welt

erobern?

Ganz sicher haben Frauen inzwischen alle Vorurteile über ihre Eignung

für Langstreckenläufe durch

ihre Leistungen widerlegt. Den Weltrekord im Marathonlauf hält derzeit

Tegla Loroupe mit etwas über

2 Stunden 20 Minuten. Mit dieser Zeit hätte sie noch nach dem zweiten

Weltkrieg den Weltrekord der

Männer gehalten und 1956, bei den Spielen in Melbourne, die Goldmedaille

im Wettbewerb der Männer erzielt.

Und wie Frauen eben so sind, Marathon ist nicht genug - die Strecken

müssen noch länger, die

Leistungen noch spektakulärer werden. Die bis jetzt größte

Ausdauerleistung erbrachte Astrid Benöhr,

die die Presse mit dem etwas seltsamen Titel «Eisenfrau»

schmückte. Die 41jährige Athletin aus Bergisch-

Gladbach stellte einen Rekord beim zehnfachen Ultra-Triathlon (38 km Schwimmen,

1800 km Radfahren

und 422 km Laufen) auf. Sie absolvierte diesen Triathlon in 187:18:37 Stunden

und verbesserte damit

sogar den Weltrekord des Franzosen Fabrice Lucas (192:08:26 Stunden) um fast

fünf Stunden. Trotz der hohen Leistungen die Frauen heute erzielen, hat

sich die "Frauenlaufbewegung" - zumindest

in Deutschland noch nicht völlig durchgesetzt. Frauen scheinen

gegenüber dem Laufvirus weitgehend

immun zu sein. Einige Zahlen sollen dies verdeutlichen: 1999 betrug der

Frauenanteil unter über 20 000 Teilnehmern

am BERLIN-MARATHON ca. 14 %; am Halbmarathon ca. 16 %. Der City-Night-Lauf

über 10 km scheint für

Frauen etwas attraktiver zu ein: 1999 waren immerhin 24 % der Teilnehmer

Läuferinnen (482 Frauen,

1563 Männer). Ein Rückblick in die Vergangenheit läßt

einen deutlichen Aufschwung des Laufengagements

der Frauen erkennen: in den letzten 10 Jahren stieg beispielsweise der

Prozentsatz der Teilnehmerinnen

am Berlin Marathon um etwa 10 %. Zum Joggen liegen leider keine

repräsentativen Untersuchungen vor, aber oft sind der gesunde

Menschenverstand und der Augenschein genau so glaubhaft oder sogar glaubhafter

als eine wissenschaft-

liche Befragung. Ich habe in den letzten vier Wochen eine "teilnehmende

Beobachtung" beim Laufen um

den Schlachtensee durchgeführt. Ich bin 15 mal zwischen 17.00 und 20.00

die ca. 6 km lange Strecke

um den See gelaufen und bin dabei etwa 300 Begegnungen gezählt (manche

Läufer/innen habe ich zweimal

getroffen und diejenigen, die in die gleiche Richtung und im gleichen Tempo

gelaufen sind, habe ich

gar nicht gesehen). Ca. ein Drittel der Laufenden waren Frauen.

Selbstverständlich ist diese Beob-

achtung nicht verallgemeinerbar, trotzdem glaube ich, daß sie den Trend

recht gut wiedergibt.

Fazit: Trotz der schlechten Datenlage ist klar, daß Frauen in der

Laufbewegung inzwischen laufend

an Boden gewinnen, daß sie aber immer noch auf allen Leistungsebenen, vom

Leistungssport bis zum

Freizeitsport, zahlenmäßig unterrepräsentiert sind. Und: Je

länger die Strecken sind, desto geringer

ist der Frauenanteil. Dabei stellt sich sofort die Frage nach dem warum. Was

sind die Gründe für die immer noch relativ

geringe Laufbegeisterung der Frauen? Was hindert Frauen, zu laufen, was Motive,

die zum Laufen

auffordern oder davon abhalten?

Motive - warum Läufer/innen laufen?

Zu den Motiven von Läufern, vor allem von Langstreckenläufern,

liegen inzwischen Untersuchungs-

ergebnisse vor. Allerdings beschränkten sich einige der

verläßlichsten und umfangreichsten Befragungen,

u.a. von Marathonläufern, auf Männer, den Wissenschaftlern war es

offensichtlich zu mühselig, Ansprech-

partnerinnen aus der relativ kleinen Gruppe von Läuferinnen zu suchen. In

den vorliegende Befragungen

konnten folgende Motive von Läufern und Läuferinnen identifiziert

werden: 1. Gesundheitsmotive

(allgemeine Gesundheitsorientierung, Gewichtsregulierung), 2. Soziale Motive

(Zusammensein mit Gleich-

gesinnten, Anerkennung), 3. Persönliche Motive (Wettkampf; Erreichen

persönlicher Ziele),

4. Psychologische Motive (Streßbewältigung, Selbstbestätigung,

Sinngebung). Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen über die

Motive von Läuferinnen und Läufern, die meis

aus dem anglo-amerikanischen Raum stammen, ergaben deutliche

geschlechtsspezifische Unterschiede, aber

auch Unterschiede in Abhängigkeit von der Länge der Laufstrecken und

von der Lauferfahrung: Mit anderen

Worten: Im Verlaufe einer Langlaufkarriere verschieben sich die Motive vom

Gesundheits- über das

Leistungs- bis hin zum Gemeinschaftsmotiv. Das "Gesundheitsmotiv" und

der Wunsch, das Gewicht zu regulieren, stehen häufig am Anfang des

Lauf-

engagements. Wenn dann der neue Lebensstil, der oft auch eine Veränderung

der Ernährung einschließt,

verinnerlicht ist, verändern sich die Prioritäten; d.h. die

Läufer/innen setzen sich dann bestimmte Ziele,

z.B. an einem Volkslauf teilzunehmen oder den Marathon durchzustehen, und wenn

dies geschafft ist, wird

oft das Wohlbefinden beim Laufen oder auch das erhöhte

Selbstwertgefühl zum dominierenden Motiv. Die

Genugtuung, etwas geleistet zu haben, kann zu einer positiven

Selbsteinschätzung und zu einem positiven

Selbstkonzept, zur Stärkung der "Ich-Identität, und zur

"Sinnfindung" beitragen. Diese Entwicklung zeigt

sich tendenziell bei Männern und Frauen. Allerdings gibt es durchaus

Unterschiede zwischen beiden

Geschlechtern: Frauen tendieren eher zu freizeitorientiertem Laufengagement und

sie nennen eher als

Männer Motive wie Gewichtsreduzierung, Erhöhung des Selbstwertes,

Gesundheitsorientierung und "Sinn-

findung". Männer gehören dagegen eher zur Gruppe der extrem viel

trainierenden Athleten und sie halten

Anerkennung und Erfolg für wichtig. Zusammen mit Gleichgesinnten Sport zu

treiben, wurde von Frauen

häufiger als von Männern als wichtiger Beweggrund des Laufens

genannt. Eine Befragung der Teilnehmerinnen

am Schweizer Frauenlauf 1998 in Bern ergab, daß die Frauen

körperliches Wohlbefinden und die persönliche

Herausforderung als Hauptgründe fürs Mitmachen nannten.

Konkurrenzorientierung spielte dagegen bei den

Läuferinnen keine oder nur eine geringe Rolle.

Dabei ist allerdings zu bedenken, daß dies Durchschnittswerte sind,

die Tendenzen widerspiegeln. Selbst-

verständlich laufen auch viele Männer, um abzunehmen, und viele

Frauen, um einen Wettkampf zu gewinnen.

Zudem ist zu beachten, daß meist zahlreiche und verschiedene Motive

miteinander verflochten sind.

Trotzdem können diese Untersuchungsergebnisse dazu beitragen, das oben

beschriebene Desinteresse vieler

Frauen an Langstreckenwettbewerben zu erklären. Damit stellt sich

allerdings schon die nächste Frage:

Warum sind Frauen eher an Gesundheit oder an Gemeinschaft interessiert und

Männer am Wettkampf? In diese

Diskussion möchte ich hier nicht einsteigen.

Ein großes Problem aller wissenschaftlichen Umfragen zum Thema Laufen

ist die Stichprobe. Es werden

Läufer, manchmal auch Läuferinnen erfaßt, die über ihre

Beweggründe, über ihre Freuden und Leiden

berichten - und offensichtlich überwiegen bei ihnen die Freuden, sonst

würden sie ja nicht laufen. Über

die Gründe, warum Menschen nicht laufen, könnten uns nur die

"Laufmuffel" Auskunft geben, und die hat

bisher noch kaum jemand gefragt. Leider habe ich weder Geld noch Zeit, eine

große Umfrage zu starten, aber ich habe in den letzten Wochen

meine Freundinnen und Bekannten mit dem Spruch genervt: "Warum läufst

Du nicht?" die meisten haben mich

anfangs falsch verstanden. "Ich lauf' doch jeden Tag mit meinem

Hund", meinten die einen, und "Ich laufe

immer zur U-Bahn", meinten die anderen. Als ich dann nachfragte, ob sie

"rennen" würden, schauten mich

die meisten doch etwas seltsam an. Beim Nachhaken kam dann heraus, daß

die einen lieber eine andere

Sportart, vor allem Golf, Tennis oder Aerobic, betreiben, andere meinten, keine

Zeit zu haben, andere

empfanden Laufen anstrengend, wieder andere als langweilig. Und viele vertraten

auch die Ansicht, daß

Laufen nicht unbedingt gesund sei, man könne sich überanstrengen, es

sei schädlich für die Gelenke oder

führe zu Rückenbeschwerden. Auffallend war, daß es den 20

Frauen, mit denen ich über Laufen gesprochen

habe, noch nie in den Sinn gekommen war, zu laufen, und daß ihnen schon

der Gedanke, 5 oder 10 km zu

rennen, völlig fremd war. Und manchmal wurden die absurdesten

"Entschuldigungen" vorgebracht -

störende Hunde im Park, Ozon, schlechtes Wetter oder daß man einfach

noch nicht dazu gekommen sei,

sich Laufschuhe zu kaufen. Manche stellten mir aber auch die Gegenfrage: Warum

läufst Du denn eigentlich?

Ist das nicht schrecklich anstrengend und langweilig? Und ich glaube nicht,

daß meine Versicherung, daß

Laufen entspannt, gesund ist und spaß macht, diese Laufmuffel

überzeugen konnte.

Gertrud Pfister