Newsarchiv

Newsarchiv

Leidenschaft besiegt Taktik

Der umgebaute LKW stand im herbstlichen Dauerregen zwischen Brandenburger Tor und Reichstag und geriet mächtig ins Beben. Gegen 17:30 war draußen nur noch ein müdes Tageslicht erkennbar. Auf der ehemaligen Ladefläche drängelten sich Körper an Körper rund 50 euphorisierte Personen und feierten vor einem notdürftig installierten Fernseher. Was war los? Fußball WM war ein Jahr zuvor, das Finale der Frauen Fußball WM doch erst am Tag danach. Nein, es lief die entscheidende Phase des 34. real,- BERLIN-MARATHON für Inline-Skater live im TV. Bei dem Truck handelte es sich um den Rollerblade Promotion Truck und bei den 50 Personen um die verbliebenen Aussteller aus dem Inline-Village am Brandenburger Tor. Zumindest die, die sich rechtzeitig einen Platz erkämpft hatten. Inline-Skating im Regen, kann das schön sein?


Berlin im Regen geht

Wenn irgendetwas wie in Stein gemeißelt zu sein scheint, dann ist es die Gewissheit das Inline-Skating auf nassen Straßen und im Regen nicht geht. Ewige Diskussionen um drohende Regenfälle sind Standard im Vorfeld eines jeden Inline-Rennens. Der real,- BERLIN-MARATHON blieb bis auf die regnerische Startphase im Jahr 2004 in 10 Jahren von einer nassen Ausgabe verschont. Nun war es soweit und es war anders als alle erwartet hatten. Beim Blick von der Startlinie in Richtung Brandenburger Tor sah man das gewohnte endlose Meer an Helmen, von Frustration keine Spur, alle Angemeldeten waren am Start. Die Gesetzmäßigkeiten von Inline-Rennen schien außer Kraft gesetzt zu sein. Die Hektik war aus der Startphase verschwunden und der Rennverlauf war nicht nur durch die üblichen Gruppen und Teamtaktik geprägt, sondern viel offener. Auf eigene Faust etwas probieren war die Devise.


Leidenschaft und Mut statt Taktik und Strategie

„Der Rennverlauf lässt sich bei Regen nur sehr schwer im Vorfeld planen“, betonte Nicolas Iten in der anschließenden Pressekonferenz. Anders als in den Vorjahren hatten die Sprinter folglich keine Chance. Mit Roger Schneider (Athleticum Rollerblade), Peter Michael (Powerslide Phuzion) und Nicolas Iten (Sportvital Rollerblade) wurde das Rennen durch mutige und leidenschaftlich kämpfende Skater bestimmt, die schon in vielen Rennen ihr Glück durch sogenannte „break aways“ gesucht haben. Vom hoch gelobten amerikanischen Star Joey Mantia war nichts zu sehen. Vorjahressieger Luca Saggiorato stand gar nicht erst am Start. Auch bei den Damen kam es zu einem unerwarteten Ergebnis. Mit der erfahrenen Belgierin Hilde Goovaerts (Cado Motus) und dem sensationellen zweiten Platz durch die erst 17-jährige deutsche Juniorenweltmeisterin Sabine Berg (Powerslide Phuzion) hat keiner gerechnet. Die überglückliche Siegerin konnte ihre Tränen kaum zurückhalten. „Es war wirklich ein sehr hartes Rennen, aber der Regen ist mir entgegengekommen. Normalerweise bin ich im Endspurt nicht so schnell. Ein Sieg in Berlin ist etwas ganz besonderes, ich bin zum siebenten Mal in Berlin gestartet, es ist ein Traum hier zu siegen“, sagte sie nach dme Rennen. Sabine Berg erklärte: „Das war in jedem Fall meine beste Leistung nach dem Titel bei der Junioren WM. Ich bin das erste Mal in Berlin gestartet und überhaupt das zweite Mal beim einem World Inline Cup. Ich komme bei Regen immer sehr gut zurecht.“


Skaten im Regen

Über den Kampf zum Spiel finden lautet eine beliebte Floskel aus dem Fußball. Genau das wird auch beim Inline-Skaten im Regen verlangt. Über Stürze nachdenken hilft nicht, mit Mut und Kampfkraft kommt man dagegen gut voran. Natürlich geht es auch um Fahrtechnik und die richtige Rolle. Der Zweitplatzierte Roger Schneider meint dazu: „Die Technik ist bei nasser Straße anders. Beim Abdruck hat man weniger Gegendruck als auf trockener Fahrbahn. Im Endspurt muss man dadurch eine höhere Frequenz fahren.“ Neben der höheren Frequenz ist es darüber hinaus wichtig mehr „unter dem Körper“ zu skaten. Findet der Abdruck auf der Straße zu weit vom Körper entfernt statt, rutscht man schneller weg. Die richtige Technik ist sicherlich entscheidender als die richtige Rolle. Aber auch da gibt es spezielle PVC-Mischungen und weichere Rollen, die ein wenig mehr Halt auf der Straße bieten. Ein großer Unterschied liegt auch im Skaten in der Großstadt oder auf dem Land. In Städten ist es wesentlich rutschiger, da auf den Straßen deutlich mehr Abrieb, Dreck und Schmiere liegt. Stürzen ist immer unangenehm. Beim 34. real,- BERLIN-MARATHON gab es zwar einige Stürze – die Bilanz ist dennoch gut: Insgesamt waren 50 % weniger Hilfeleistungen durch das Medical-Team nötig als in den Jahren zuvor. Der rutschige Untergrund hat hier also geholfen.


Das war 2007

Kämpfen ist immer was sehr Emotionales. Entsprechend waren auch die Reaktionen nach dem Zieleinlauf. Glückliche Menschen wo man hinsah. Auch wenn die Kälte langsam in die ausgepowerten Körper kroch, waren alle froh und stolz auf den absolvierten Marathon. Ein intensiver Nachmittag lag hinter allen Beteiligten, den so schnell niemand vergessen wird. Auch die 50 Skatefans vom Rollerblade Truck wendeten sich mit dem einen oder anderen Kopfschütteln wieder ihren eigentlichen Tätigkeiten zu. War das eben die Wirklichkeit? Grölende Skatefans vor dem TV? Wenn es so ist, kann die Zukunft kommen. Sämi Raimann von Rollerblade sah sichtlich mitgenommen aus, nicht nur durch den Sieg seines Fahrers: „Ich denke, dass Berlin mal wieder ein Meilenstein für den Inline Sport war.“ Auf der abendlichen Party ging es hoch her. Knapp 2000 Besucher feierten den Saisonausklang. Um 5 Uhr früh musste den letzten Unverwüstlichen der Weg nach Hause gezeigt werden.


Das abschliessende Fazit war einstimmig. Regen, schön und gut, aber wenn im nächsten Jahr wieder die Sonne scheinen würde, hätte niemand etwas dagegen.