Adrenalin, Verzweiflung und ein Podestplatz beim GENERALI BERLINER HALBMARATHON
Kerstin Abele geschieht das Unfassbare
Der Sonntagmorgen begann ruhig. 90 Minuten vor dem Start verließ Abele ihr barrierefreies Hotel in Berlin-Tiergarten, um in der Tiefgarage ihr Handbike aus dem Auto zu holen. Dann geschah das Unfassbare. Beim Einfahren in den Aufzug rutschte ihr der Autoschlüssel vom Schoß und stürzte in den Türspalt des Liftschachts. „Ich war wie gelähmt, und das nicht im übertragenen Sinne“, schildert Abele das Drama. Ihr Sportgerät war im gut verschlossenen Auto. „War es das jetzt?
© Sportografen
Der ADAC Berlin-Brandenburg im Eiltempo
Abele rollte sofort an die Rezeption, von wo aus die Aufzugsfirma kontaktiert wurde. Ein gut gemeinter Versuch, der jedoch ziemlich schnell vor Augen führte, dass es wohl beim Versuch bleiben wird. Sonntags auf die Schnelle einen Aufzugsmechanikern zu organisieren, erwies sich als Ding der Unmöglichkeit. So schnell wollte sich die Kämpferin jedoch nicht geschlagen geben. Einzige Hoffnung: Der ADAC Berlin-Brandenburg. Und der nahm sich der Sache mit oberster Priorität an. Was dann passierte, war für die sympathische Handbikerin wie aus einem Film. Ein junger Mitarbeiter des ADAC Berlin-Brandenburg konnte mit seinem Wagen nicht bis ans Hotel fahren und rannte kurzerhand samt seines Werkzeugkoffers unterm Arm los und stürmte direkt in die Hotel-Tiefgarage.
Handbikerin kurbelt, was das Zeug hält
„Ich war den Tränen nahe, als ich ihn 35 Minuten vor dem Start heran spurten sah“, beschreibt Abele den hoffnungsvollen Moment. Der Mann vom ADAC Berlin-Brandenburg blieb cool. Knackte, routiniert das Auto. Ganze 25 Minuten blieben noch bis zum Startschuss. Im Eiltempo montierte Abele ihr Handbike - auch dabei half der Mann in Gelb. Fürs große Dankeschön blieb in dem Moment keine Zeit. Vier Kilometer waren es noch bis zum Start. Ihr Helfer schob Abele noch die Tiefgarage hoch, bevor sie mit einem dankbaren Tschüss Vollgas gab. „Kurbeln was das Zeug hält“, war angesagt. Ein 170er Puls, Wind, Kälte und der Schock, der immer noch in den Knochen saß, waren alles andere als optimale Startbedingungen.
Mit der Polizei quer durch die Hauptstadt
Immerhin fünf Minuten konnte Abele noch ausschnaufen. Ihr Puls wurde ruhiger und der Gedanke , „egal was jetzt kommt, ich bin dabei“, ließ die Handbikerin wieder lächeln und ordentlich kurbeln. Und wie. Trotz aller Aufregung, bei vier Grad und Gegenwind, belegte sie in 56:07 Minuten den zweiten Platz, gefolgt vom Gänsehautfeeling. Die Achterbahn der Gefühle legte dann noch eine Ehrenrunde ein. Direkt nach dem Zieleinlauf die nächste Hiobsbotschaft: Dopingkontrolle. Heißt: Eine Nonstop-Begleitung bis zur Probe, welche sie nicht im Zielbereich abgeben konnte. Ihr Alltagsrolli war im Hotel, der Autoschlüssel weiterhin im Lift. Taxi? Fehlanzeige. Unerschrocken wie Abele ist, wandte sie sich, nachdem sie wieder im normalen Rolli saß, an zwei Polizisten, die eine Kreuzung sicherten. Es folgte ein nächster Moment, der Hoffnung machte. Einer der Beamten stoppte kurzerhand ein Taxi, das eigentlich keine Fahrt geplant hatte. Dennoch brachte der Fahrer die Sportlerin samt der Begleitperson quer durch Berlin zur Kontrolle.
Kurz vor dem Start - Adele hat es gerade noch rechtzeitig geschafft. © SCC EVENTS_Petko Beier
Großes Dankeschön: Dit is Berlin
Kontrolle. Der Test war geschafft, aber der Autoschlüssel fehlte noch immer. Abele blieb nichts anderes übrig, als noch eine weitere Nacht zu buchen. Am Montagmorgen dann, fast beiläufig, händigt ihr die Rezeption den Schlüsselbund aus. Ein Haustechniker hatte ihn geborgen. „Ich habe Rotz und Wasser geheult. Die ganze Anspannung fiel von mir ab“, freut sich Abele noch heute. Ganz großes Lob hat sie neben dem Engel in Gelb, dem Polizeibeamten und Taxifahrer, auch fürs Team vom Hotel übrig und das nicht nur wegen der geschenkten Zusatznacht.
Mut, Hilfe und Mitgefühl sind die wahren Sieger:innen
„Es war einfach unglaublich. So viel Mitgefühl, so viel Herzlichkeit. Alles hat mich tief berührt.“ Fazit der Sportlerin. „Der GENERALI BERLINER HALBMARATHON brachte mich in einen emotionalen Ausnahmezustand mit Verzweiflung und Adrenalin. Am Ende gipfelte dann alles in großer Dankbarkeit. Ein Wettkampf der nicht nur sportlich top organisiert war, sondern für mich auch menschlich wunderschön. Kerstin Abele hat Berlin nicht nur sportlich erobert. Sie hat allen, ob mit oder ohne Handicap gezeigt, dass Mut, Hilfe und Mitgefühl oft die wahren Sieger:innen sind.
Beim Abholen der Startunterlagen war Adele noch bester Laune
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